(post)Pandemische Zeiten
Corona hat unsere Schattenseiten beleuchtet, die gemeinsamen und die individuellen. Einen der größeren Schatten wirft dabei sicherlich unsere Beziehung zur Zeit.
Diese Beziehung ist stark kapitalistisch beeinflusst. Wer kennt nicht den Spruch von der Zeit als Geld. Aber „Zeit ist kein Geld. Zeit ist das Gewebe unseres Lebens.“ zitiert Maria Rita Kehl den Literaturwissenschaftler Antonio Candido in ihrem Buch O Tempo e o Cão. Um uns diese Tatsache bewusst zu machen, müssen wir uns unserer Endlichkeit stellen. Wir sind endliche, sterbliche Wesen und die Pandemie zeigt dies schonungslos. Unverblümt zeigt sie uns außerdem, dass nicht jedes Lebens in unserer Gesellschaft den gleichen Wert hat.
Systemrelevante Berufe konnten kein Homeoffice machen. Beschäftigte in Kindertagesstätten, in Supermärkten, in Krankenhäusern, in Pflegeheimen, in Postämtern und bei Reinigungsfirmen und der Müllabfuhr waren täglich der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt. Diese Arbeiter:innen in prekären Verhältnissen waren früh mit der Gefahr des Todes konfrontiert.
Umso mehr stellen sich daher, unter den ungeduldigen Rufen nach einer baldigen Rückkehr zur Normalität und einem Ende des Lockdowns, einige Fragen:
Wieviel ist eine Stunde Leben von Frauen und Männern in systemrelevanten Berufen wert? Was ist der Grund für die spärliche Entlohnung wesentlicher Dienstleistungen? Hat dies damit zu tun, dass viele dieser Tätigkeiten von Frauen und Migrant:innen ausgeübt werden?
Die Bundesregierung wünscht sich, dass die Erziehungs-und Pflegearbeit auch für Männer attraktiver wird. Letztere machen aber deutlich, dass die Voraussetzung dafür eine bessere Bezahlung sei. Braucht es also mehr Männer, damit es erst zu einem fairen Lohn für diese Formen der Arbeit kommt? Müssen Männer gebärfähig werden, um Haushaltsführung angesehen zu machen und ihr Respekt und Entlohnung zu verschaffen?
Wir wollen nicht zurück zum „alten Normal“. Wir fordern Anerkennung für unsere Arbeit und finanzielle Investitionen des Staates, damit Beschäftigte in systemrelevanten Berufen, Frauen und Migrant:innen nicht weiterhin für einen Hungerlohn arbeiten müssen, sondern mehr Zeit haben, um ihr Leben zu leben. Lebensqualität kann nicht weiterhin auf bestimmte Berufsgruppen, Geschlechter oder Hautfarben beschränkt werden.
IMBRADIVA wünscht Ihnen schöne Feiertage. Möge der Frühling und der Sommer uns daran erinnern, dass wir immer die Möglichkeit haben, neu anzufangen, uns von unseren Schatten und Gewohnheiten zu verabschieden und als Individuen und eine gerechtere Gesellschaft aufzublühen.
Vorstand IMBRADIVA
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